Frankfurter Allgemeine 2010-07-10.

von Wolfgang Sandner

Saxophonist Willem Breuker gestorben

Der erste Mann im Kollektief
Der Saxophonist Willem Breuker suchte mit seinem „Kollektief“ die Marktplätze europäischer Städte heim – und spielte Jazz auf eine geistreiche, anarchische Weise. Jetzt ist er im Alter von 65 Jahren in Amsterdam gestorben.

Straßenmusiker und Jazz-Clown: der niederländische Saxophonist Willem Breuker (1944 bis 2010)
Seine musikalischen Auftritte waren heilsame Verrücktheiten. Sie wirkten gegen alle möglichen Formen von Dogmen und Agitationen. Auch die linke Bewegung von 1968 hat den freundlichen Berserker Willem Breuker aus Amsterdam nicht umstandslos in ihre Reihen eingliedern können. Die Frage, ob es politische Musik gebe, hat er einmal mit einem bizarren Vergleich beantwortet. Von der Musik zu verlangen, sie möge politisch wirken, sei so absurd, wie die Erwartung an eine Kuh, sie möge nicht nur Milch geben, sondern auch noch Saxophon spielen.

Willem Breuker hat alle irritiert, auf eine geistreiche, nie menschenverachtende, immer aufklärerische Weise. Er kam aus der holländischen Free-Jazz-Szene, die er wie vielleicht nur noch der Schlagzeuger Han Bennink vierzig Jahre lang geprägt hat. Breuker war jedoch kein Free-Jazz-Saxophonist. Gegen Etikettierungen jeglicher Couleur schien er auf wundersame Weise imprägniert zu sein. Willem Breuker machte umfassende Musik, die von allen verstanden, oder sagen wir besser: genossen werden konnte. Dazu taugten keine Spezialisierungen und schon gar keine Avantgardismen. Er konnte auf seinem Instrument die trivialsten Tonfolgen herunterleiern; wie er sie dann allerdings in seine Gesamtkonzepte aus Jazz, Gassenhauern, Mozart-Gestus und Folklorismen einband, war die hohe Kunst eines öffentlich wirksamen Musiktheaters.

Fröhlich lärmende Dreigroschenmusik
Willem Breukers „Kollektief“, das er Anfang der siebziger Jahre gründete, war ein aberwitziger Spielmannszug aus zehn gestandenen Musikern, der die Fußgängerzonen europäischer Klein- und Großstädte heimsuchte und jedem, der für fünf Minuten seine Einkaufstouren unterbrach und stehenblieb, Kostproben einer intelligent-sinnlichen Musik offerierte. Breukers Band machte immer fröhlich lärmende Dreigroschenmusik. Vom Klangmaterial, das da meist benutzt wurde, hätte ein Adorno behauptet, es sei längst enteignet gewesen.

Der Umgang mit diesem Material war jedoch alles andere als abgedroschen. Da wurden Schlager ins Säurebad des Free Jazz getaucht, Zwölftonreihen mit Ennio Morricones Spaghettiwesternklang übermalt und italienische Opernarien auf die Straße zurückgeholt, wo sie ursprünglich herkamen. Hochnäsig und pathetisch wirkte da nichts, und bloßgestellt wurde niemand, auch wenn so mancher Oberton auf dem Marktplatz der Uneitelkeiten ein wenig anders klang als in einer Philharmonie.

Er schrieb mehr als fünfhundert Werke
Gleichwohl hat der musikalische Autodidakt Willem Breuker, der in den sechziger Jahren ein einflussreiches Jazztrio mit Han Bennink und dem Pianisten Misha Mengelberg besaß und das erste unabhängige Plattenlabel Europas gründete, die etablierten Musentempel nicht gemieden. Er trat mit seinen Gruppen beim Holland Festival und den Donaueschinger Musiktagen auf, schrieb die Musik zu zahlreichen Filmen, unter anderem zu Murnaus „Faust“-Stummfilm, führte die Werke von Edgar Varèse und Kurt Weill auf und war an Projekten mit dem Cellisten Yo Yo Ma beteiligt. Mehr als fünfhundert Werke entstammen seiner Feder, darunter sinfonische Werke, Oratorien, Kammermusik und zahlreiche Musiktheaterstücke.

Wie lange er denn die Auftritte mit seinem Kollektief fortsetzen wolle, wurde Breuker einmal gefragt. Bis es keinen Marktplatz in Europa mehr gebe, auf dem er noch nicht gespielt habe, lautete die Antwort. Ob er sein Ziel erreicht hat, steht nicht fest. Am Freitag ist Willem Breuker in Amsterdam im Alter von fünfundsechzig Jahren gestorben.